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“Das achte Leben (Für Brilka)“

Veröffentlicht am 13.04.2020 (Ostermontag)

Literatur à la carte zur Osterzeit
- Lockruf der Schokolade

Süßer die Glocken nie klingen... In der Jahreszeit geirrt? Aber nicht doch! Denken Sie an all die Glöckchen der bekannten Osterhasen.
Begehrt ist die süße Sünde das ganze Jahr über – nicht nur zur Osterzeit.

Rund 10 Kilogramm essen die Deutschen pro Kopf im Jahr. Die 100g Tafel Vollmilch gibt es beim Discounter um die Ecke als Eigenmarke für billige 39 Cent, gute Sorten wie Lindt oder Valrhona schlagen mit 2,50 € oder mehr zu Buche. Bei Manufactum können es auch mal 4,50 € sein.
Schokolade ist also ein Genuss; kein Wunder, wenn diesem Produkt im Rahmen eines Buches gewissermaßen eine Hauptrolle zufällt.

 

„Mein Ururgroßvater hatte ein Rezept in der Tasche, das den Geschmack Heißer Schokolade revolutionieren sollte.
Dieses Rezept, oder besser gesagt: die Heiße Schokolade, sollte ich als einer der Hauptfiguren der Geschichte einführen.

Etwas an dieser Zusammensetzung und Zubereitung machte diese Schokolade so besonders, einmalig, unwiderstehlich, bestürzend.
Schon ihr Geruch war so verlockend und so intensiv, dass man nicht anders konnte, als dorthin zu eilen, woher er kam.

Die Schokolade war zäh und dickflüssig, schwarz wie die Nacht vor einem schweren Gewitter, und wurde in kleinen Portionen, heiß, aber nicht zu heiß, in kleinen Tassen und – im Idealfall – mit Silberlöffeln verzehrt.

Der Geschmack war unvergleichlich, der Genuss glich einer geistigen Ekstase, einer überirdischen Erfahrung. Man verschmolz mit der süßen Masse, man wurde eins mit dieser köstlichen Entdeckung, man vergaß die Welt um sich herum und verspürte ein einmaliges Glücksgefühl.
Alles war, wie es sein sollte, sobald man diese Schokolade kostete.“

 

So steht es im Buch 1 des Romans der georgischen Schriftstellerin Nino Haratischwili (*1983 Tbilissi)
“Das achte Leben (Für Brilka)“

 

Von der Zahl acht wird behauptet, sie sei gleichgesetzt mit dem ewigen Leben; und in dem Roman geht es um ein Jahrhundert. Die Autorin macht die Lesenden im Laufe des Epos damit vertraut. Vergleichbar mit den großen Romanen der lateinamerikanischen Literatur geht es in diesem Opus um eine Familiengeschichte über sechs Generationen.

 

🇬🇪 Es beginnt mit dem Jahr 1900, der Geburt Stasias, in Georgien.

Sie ist Tochter eines Schokoladenfabrikanten. Sie heiratet den Weißgardisten Simon Jaschi, der am Vorabend der Oktoberrevolution nach Petrograd versetzt wird. Nach der Machtübernahme von Stalin sucht Stasia mit ihren Kindern Schutz in Tbilissi bei ihrer Schwester Christine, bekannt für ihre außerordentliche Schönheit.
Auf diese wird, mit fatalen Folgen, der Geheimdienstler Lawrenti Beria aufmerksam...

Wir erfahren während der Lektüre nun das Schicksal der Agierenden, von Generation zu Generation, fest verwoben mit der Geschichte Georgiens im 20. Jahrhundert, eingebettet in die der Sowjetunion bis zum Zusammenbruch in den 90er Jahren.

Und wie ein Webfaden zieht sich der Genuss, vielmehr das belastete Erbe der Schokolade durch die 1300 Seiten des Buches.

 

„Bei seiner Rückkehr in seine Heimat hatte er die Garantie für seinen späteren Erfolg bereits in der Tasche. - (von den Nebenwirkungen seiner magischen Schokolade war bis dahin noch nichts bekannt).“

 

Das Problem dieser Schokolade sei hier an dieser Stelle nicht verraten.
Die Schokolade fließt, und es ist unmöglich, sich ihr zu entziehen, wie die Autorin schreibt.

👉 Das gilt für die Lektüre gleichermaßen. Einmal begonnen, ist es wie ein Sog, der einen in das Universum dieser Geschichte wirft, kaum mehr loslässt, uns die Schokolade riechen, spüren lässt.
Der jahreszeitliche Hase ist da nur ein schwacher Trost – es helfen nur Berge von guter, allerfeinster Schokolade.

Dann können wir wieder, irgendwann, in der Realität auftauchen - selig nach dem Genuss von Schokolade und einer solchen Lektüre.

 

Nino Haratischwili
"Das achte Leben (Für Brilka)
Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt a. M., 2014
ISBN 9783627002084

© Text Ariane Niehoff-Hack, Frauen in der Einen Welt
Bild: Dank an pixabay

© Frauen in der Einen Welt und Autorinnen

 

 
Der Text war 2017 Teil unserer Soiree (Begleitprogramm der Ausstellung "ausgekocht")
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