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Abortion - Eine erbitterte Debatte mit folgenschweren Konsequenzen in den USA (VIII) - Gesellschaftliche Konsequenzen

Veröffentlicht am 24.10.2023

Aus Sicht der ‘Pro-Life’ Bewegung zahlte sich deren fortdauernde Opposition gegenüber ‘Roe vs Wade’ aus. In einer Reihe von Staaten lagen sogenannnte ‘trigger laws’10 (Auslösergesetze) auf Eis. Seit April 2022 war die Zahl der Geburten in Texas um 10.000 Babys angestiegen, was Staaten mit republikanischer Mehrheit ermutigte, eine ähnlich einschränkende Gesetzgebung anzustreben.11 Sofort nach der Entscheidung von ‘Dobbs vs Jackson’ im Sommer 2022 traten die Auslösergesetze dann auch in Kraft.12

Für Dr. Mary Ziegler13 von der Harvard Law School kam die Entwicklung nicht überraschend. Ihres Erachtens konnten die konservativen Bundesstaaten (mit einer republikanischen Mehrheit im Landesparlament, die Verf.) darauf vertrauen, dass der Oberste Gerichtshof ‘Roe vs. Wade’ noch im selben Jahr rückgängig machen würde.13

Laut einer CNN-Erhebung von August 2023 ist Abtreibung nun in 15 Staaten ab der 6. Schwangerschaftswoche verboten, es sei denn, das Leben der Mutter ist gefährdet. Ansonsten ist es Ärzt*innen und medizinischen Versorgern untersagt, eine Abtreibung durchzuführen. In 12 Staaten gilt ein vollständiges Verbot ('total ban'), d.h. selbst bei einer Vergewaltigung oder einem Inzest.
Das Strafmaß für Kliniken bzw. Ärzt*innen variiert. Eine Haftstrafe kann zwischen 2 bis 99 (Texas) Jahren liegen. Zusätzlich darf in einigen Staaten eine Geldbuße von bis zu $100.000 (Louisiana) angeordnet werden.14

 

Die neuen Regelungen haben nicht nur für Schwangere gravierende Auswirkungen. In den Staaten mit einem absoluten Abtreibungsverbot sind Kliniken und niedergelassene Ärzt*innen in zunehmenden Maße verunsichert. Können sie medizinisch notwendige Eingriffe noch unbedenklich durchführen, oder begeben sie sich damit in den Bereich der Illegalität. Die Frauenärztin Dr. Huntsberger aus Sandpoint hielt diesem Druck nicht mehr Stand. „In Idaho haben wir jetzt einige der extremsten Beispiele für staatliche Eingriffe in das Gesundheitswesen, die es im ganzen Land gibt… Diese Auswirkungen treffen Frauen und Familien am stärksten, insbesondere diejenigen, die nicht viel Geld oder Einfluss haben.” Immer häufiger, so die Medizinerin, verspürte sie „Angstwellen”, wenn sie im OP stehe. Würden ihre Entscheidungen und ihr Handeln im Operationssaal sie in rechtliche Schwierigkeiten bringen? Mit dem Stress im OP könne sie umgehen, aber nicht mit einer möglichen Anklage. Nach 11 Jahren beschloss sie, ihre Praxis zu schließen, und zog diesen Sommer mit ihrer Familie in das liberalere Oregon.15

Sie ist kein Einzelfall.
Zunehmend verlieren Frauen in den Staaten mit den restriktivsten Gesetzen durch die Abwanderung von Ärzt*innen und die Schließung von Kliniken deshalb auch Zugang zu einer adäquaten gynäkologischen Grundversorgung. Medizinische Leistungen wie Schwangerschaftsbetreuung mit regelmäßigen Vorsorgeuntersuchungen, Brustkrebsvorsorge, Behandlung allgemeiner gynäkologischer Erkrankungen sowie Verschreibung von Verhütungsmitteln, stehen nicht mehr zur Verfügung.16 Seit 2011 haben 217 Krankenhäuser in den Vereinigten Staaten ihre Entbindungsabteilungen geschlossen. Eine CNN-Zählung zeigt, dass allein für das Jahr 2022 mindestens 13 weitere Schließungen angekündigt wurden.17

Dieser Trend veranlasste Jerome Adams, früherer Mitarbeiter der Trump Regierung und Professor an der Purdue Universität in Indiana, im Frühjahr 2023 zu der Warnung, dass „… eine Kriminalisierung von Ärzten dazu führen könnte, Schwangerschaften für alle weniger sicher zu machen und die Säuglings- und Müttersterblichkeit zu erhöhen.” Er spricht in dem Zusammenhang außerdem von einem bedenklichen „brain drain”. In einer Umfrage von mehr als 2.000 Ärzt*innen und Studierenden, gaben 76 % an, dass sie sich in Staaten mit Abtreibungsbeschränkungen nicht einmal für eine Ausbildung oder gar eine Arbeit bewerben würden.18
Dr. Ana Langer, Koordinatorin der Frauen - und Gesundheits-Initiative an der Harvard Universität befürchtete dies bereits  2021: „Wenn der aktuelle Trend in den USA anhält, werden Abtreibungen in ,Hinterhöfen’ (back alleys) die letzte Ressource für Frauen sein, die keinen Zugang zu sicheren und legalen  Leistungen haben.”19

 

Referenzen:
10) https://www.verywellhealth.com/what-are-trigger-laws-abortion-5499088
11) https://edition.cnn.com/2023/07/06/health/texas-abortion-law-births/index.html
12) https://www.dailysignal.com/2022/01/26/texas-heartbeat-law-beats-strongly-inspires-other-states-to-follow-suit/
13) Mary Ziegler. Abortion and the Law in America: Roe v. Wade to the Present. Cambridge University Press, 2020.
14)  https://edition.cnn.com/2022/08/31/us/abortion-access-restrictions-bans-us/index.html
15) https://www.theguardian.com/us-news/2023/aug/22/abortion-idaho-women-rights-healthcare
16) https://www.npr.org/sections/health-shots/2023/05/23/1177542605/abortion-bans-drive-off-doctors-and-put-other-health-care-at-risk
17) https://edition.cnn.com/2023/04/07/health/maternity-units-closing/index.html
18) https://www.npr.org/sections/health-shots/2023/05/23/1177542605/abortion-bans-drive-off-doctors-and-put-other-health-care-at-risk
19) https://www.hsph.harvard.edu/news/features/abortion-restrictions-health-implications/

 

© Text: Michaela Schneider, Frauen in der Einen Welt
© Grafik: Sibylle Meyer, Frauen in der Einen Welt

Copyright Frauen in der Einen Welt und Autorinnen bzw. Künstlerinnen und Fotograf*innen

zu den Fortsetzungen: (I) (II) (III) (IV) (V) (VI) (VII) (VIII)

  • Bundesverfassungsgerichtsurteil von 1973 Roe versus Wade
  • Bundesverfassungsgerichtsurteil von 2022 (Dobbs versus Jackson)
  • Gesellschaftliche Konsequenzen

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